"Ich laß’ es von fern locken, werde mich wohl hüten, hinüberzugehen […] Ich gehe weiter ohne bestimmte Richtung..." Franz Hessel

Tuesday 10 March 2015

Halb zog sie ihn, halb sank er hin...

©Brigitta Huegel

... so Goethe, aber hier könnte es auch umgekehrt sein. Ach, diese ganzen Wassergestalten! 

Nymphen und Nixen sind keine Meerjungfrauen, obwohl sich im Lauf der Zeit die Füße mancher Nixe und der nasse, tropfende Rocksaum in einen Fischschwanz verwandelten, und die Menschen ungenau wurden im Gebrauch der Worte, und Kategorien nicht mehr so genau unterschieden. 

Ich hatte mich unten am Viktoriapark vom Kreuzberg einfach nach links treiben lassen, und da stand sie am Rande eines kleinen Teiches: die Bronzeskulptur "Der seltene Fang" von Ernst Herter (1846 - 1917), 1896 geschaffen. Diese Meerjungfrau ist, wie wir deutlich sehen, zur völligen Verführung fähig, ihr Fischschwanz fängt erst weit unterhalb der Hüften an.  

Ich will hier keine Abhandlung schreiben über das Meeresvolk, auch Gottfried Kellers auffallende Faszination von Nixen und auch die Wasserfrauen lasse ich aus.   
Wer mag. liest von Eduard Mörike "Die Historie von der schönen Lau" selbst, oder die wunderschöne Geschichte "The Fisherman and His Soul" von Oscar Wilde - "so süß war ihre Stimme, dass er seine Netze und sein Handwerk vergaß". 
An die "Erlösungsbedürftigkeit" der Meerjungfrau, von der Wikipedia spricht, glaube ich nicht. Will sie wirklich von ihrem Schicksal befreit werden? Kann sie etwas vermissen, was sie nicht hat oder kennt? (In ihrem Fall die Seele). Bei Oscar Wilde ist der Fischer erlösungbedürftig, sein Sehnen nach der Meerjungfrau zerreißt ihn schier - und wir denken an Odysseus und die Sirenen - der allerdings klüger (und älter) war als Oscars Jüngling, dieser gibt seine Seele her für die Erfüllung seiner Sehnsucht. Wir Frauen sind fasziniert...  
           Über Jungs Mutterarchetyp und die verschlingende Seite der Frau würde ich diskutieren - aber das scheint mir nicht schicklich, war doch vorgestern erst "Weltfrauentag". (Hier sollte ich vielleicht ein ironisch grinsendes Emoticon setzen, aber da ich dich nicht unterschätze, geneigter Leser, lasse ich es). 
 Verschlingen, verlassen, verführen auf's neue - die Meerjungfrau hat keine Seele, sie bleibt bei aller Lust kalt - wie ein Fisch... Gottfried Keller schreibt in seinem Gedicht "Seemärchen":  
(...) Und küsst ihm das Rot vom Munde. 

Drei Tage hatte sie Zeitvertreib
Mit ihm in den Meeresweiten,
Am vierten ließ sie den toten Leib
Aus ihren Armen gleiten. 

Da schoss sie empor an das sonnige Licht
Und schaute hinüber zum Lande;
Sie schminkte mit Purpur das weiße Gesicht
Und nahte sich singend dem Strande.

Das ist natürlich keine gute Grundlage für die Liebe ... aber für die Liebe die Seele opfern - das geht auch nicht gut. Das Herz weit öffnen: JA. Die Seele öffnen und den anderen herein lassen: JA. Den anderen in Liebe einhüllen: JA. Aber ihm nicht seine Luft, oder sein Wasser, zum Existieren nehmen: jeder sollte sein Element - der Fischer das Land, die Meerjungfrau das Wasser - behalten dürfen. Wie viele opfern ihre Freund(inn)e(n), ihre Eigenarten, ihre Ziele, wenn der andere nur pfeift. Sollten sie nicht: andersartig bleibt verlockend. 
Sonst kann es geschehen, dass Goethe (mal wieder) den Nagel auf den Kopf trifft, und es von dem Partner, der seine Seele geopfert hat, heißt: "und ward nicht mehr gesehn" - denn dann hat der eine den anderen verschlungen (und solche Paare kenne ich einige...)  

(English translation will follow tomorrow) 


 


Friday 20 February 2015

Befreiungskriege (1813 - 1815): Viktoriapark (2.)


©Brigitta Huegel

Nein, so schön der Ausblick vom "Nationaldenkmal für die Siege in den Befreiungskriegen (1813 - 1815)" über ganz Berlin auch ist - und auch wenn auf dem Gemälde von Johann Peter Krafft in der (kritischen) Ausstellung "1813 - Auf dem Schlachtfeld bei Leipzig" des Deutschen Historischen Museums kein Blut und keine Toten zu sehen waren: so sind von den 600.000 Kämpfenden aus über zwölf Ländern doch über 92.000 gestorben.
Wer weiß heute noch, dass Ludwig Uhland 1809 "Ich hatt' einen Kameraden" dichtete? Mein weibliches Herz empört sich, dass der Kämpfer seinem sterbenden Kameraden nicht die Hand halten kann, weil er das Gewehr laden muss:

"Will mir die Hand noch reichen, / Derweil ich eben lad'/ 
Kann dir die Hand nicht geben/ Bleib du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!

"Das" - so il marito - "war ja gerade das Vertrackte bei dieser Schlacht: dass das Laden der Vorderlader länger dauerte als das Schießen." Wir beide versuchen, uns vorzustellen, wie unsere Welt heute aussehen würde, wenn Napoleon Bonaparte gewonnen hätte - es gelingt uns nicht.
"Aber wenigstens ein paar (mehr?) Erklärungen hätte ich hier am Kreuzberg schon gern gesehen", maule ich. 
©Brigitta Huegel

©Brigitta Huegel

Der Wasserfall, wenn er in der warmen Jahreszeit angestellt ist, ergießt sich bis zur Großbeerenstraße. Hier braucht es meine detektivische Kleinarbeit (also mehr als zwei Sucheinträge bei Wikipedia), um herauszufinden, was es mit diesem Namen auf sich hat. Dachte ich's mir doch:
"Die Schlacht bei Großbeeren fand am Nachmittag des 23. August 1813 in der Nähe von Großbeeren in Brandenburg, heute Landkreis Teltow-Fläming, statt. Sie war Teil der Befreiungskriege. Die Niederlage der Franzosen verhinderte ein erneutes Vordringen der napoleonischen Truppen nach Berlin und beendete die französische Herrschaft in der Mark." 
Die Blickachse wurde also mit Bedacht gewählt. Und diese Straße kann ich auf dem Rückweg natürlich nicht links liegen lassen, und so entdecke ich eine andere "Quelle": den 'Galander Liquid Store',

©Brigitta Huegel


der neben erlesenen Whiskysorten auch eine große Auswahl an Gin anbietet, darunter "The Duke", den köstlichen Gin aus München.  Den kann ich nach so viel geschichtlichem Leid auch brauchen:   


©Brigitta Huegel


PS: "SALVE" ist ein lateinischer Segensgruss, der "Gesundheit, Ganzheit' und damit Unversehrtheit wünscht. (Diesen fand ich vor einem Hauseingang in der Großbeerenstraße - die Inschriften wurden bis ins späte 19. Jahrhundert verwendet). 




Wednesday 18 February 2015

Der Viktoriapark in Kreuzberg (1)

©Brigitta Huegel

Gestern habe ich es genau richtig gemacht: erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Da die Sonne vormittags vorfrühlingshaft leuchtete, wollte ich in die Natur - was in Berlin ja oft 'Park' heißt. 
Den Viktoriapark in Kreuzberg kannte ich noch nicht. Clemens A. Wimmer beschreibt ihn knapp auf zwei sehr kleinen Seiten in "Parks Und Gärten In Berlin Und Potsdam" - dabei ist er immerhin 128.000 Quadratmeter groß. UND liegt - zumindest für Berliner Vorstellungen - auf einem Berg, der 66 Meter (NHN) hoch ist - dem Kreuzberg
Auf dem steht seit 1878 Schinkels Nationaldenkmal zur Erinnerung an die Freiheitskriege - ein Denkmal, das man einfach von vor den Toren der Stadt hierher versetzte. Und das in einen Park, den ich sofort ins Herz schließe - er hat etwas entschieden englisches: ein Landschaftsgarten. 


©Brigitta Huegel

"Wie auf Fels gebaut" sollte er sein - das wollte der Stadtgartendirektor Hermann Mächtig, und ließ deshalb - im kleinem Stil - den Hainfall des Riesengebirges nachahmen, wobei er penibel und naturalistisch die Felsformation nachbauen ließ - was ich jetzt im Winter sehr gut überprüfen konnte, denn der Wasserfall ist (leider) abgestellt. 


©Brigitta Huegel


Aber zuerst einmal hieß es, hinauf zu 'klettern'. Auf dem Weg dahin boten kleine Plätze, sehr geschickt in die Parklandschaft eingebunden, durchaus genügend Sitzgelegenheiten, aber die waren mir - und Heinrich von Kleist - entschieden zu kühl; Heinrich wirkte überhaupt wie erstarrt und war offensichtlich noch dabei, erst allmählich seine Gedanken zu verfertigen, wobei er noch gar nicht zum Reden kam - und auch mir verschlug der respektlose Umgang mit diesem Literaten die Sprache


©Brigitta Huegel
Er ist der Einzige von ursprünglich 6 "Porträthermen 'urdeutscher Dichter, Sänger des deutschen Patriotismus' ", den ich im Park fand ohne zu Suchen - irgendwo müssen noch Ludwig Uhland und Friedrich Rückert (ein Dichter, der meines Erachtens in unserer Zeit völlig unterschätzt wird) herumstehen. Fast bin ich erleichtert, als ich bei späterer Recherche im Blog kreuzberged.com lese: das Denkmal ist ein Fake - die Originale stünden jetzt im Hof eines Gymnasiums: "The original works of Karl Pracht (he made von Kleist) and of Max Kruse (his was Uhland) were moved to the courtyard of the Leibniz-Schule (...) in Schleiermacherstrasse 23.
"Und das ist auch gut so", um einen zeitgenössischen Berliner zu zitieren - denn dann sind wenigstens sie geschützt, anders als "eine aufwendige Granitbank aus der Entstehungszeit" (so Wimmer), die trotz Denkmalschutz (unter den der ganze Park als erste der Berliner Grünanlagen 1980 gestellt wurde) farblich 'aufgepeppt' wurde:  

©Brigitta Huegel
Wenn euch das jetzt glatt aus den Schuhen haut, dann setzt euch doch für einen Moment hin. 
Morgen geht es weiter. 


Monday 16 February 2015

Flanieren

Ich habe meinen Blog umbenannt. 
"Berlin zum Dritten": kaum einer kannte das Zitat von Robert Gernhardt. Und ich hatte - fleißig meine beiden Hauptblogs in Englisch schreibend - den deutschen Blog fast vergessen. So wie das Wort Flanieren
Nun, es war Winter.  
Heute scheint die Sonne, noch etwas schüchtern, und so sitze ich gegen drei auf dem Balkon,Teebecher in der einen, Franz Hessels Buch in der anderen Hand. "Spazieren in Berlin: Ein Lehrbuch der Kunst in Berlin spazieren zu gehen" (1929) -1984 umbenannt in "Ein Flaneur in Berlin".   
Mein Balkon ist schon mit Frühlingsblühern bepflanzt: kleine Narzissen, ein paar gelbe Stiefmütterchen, dazu Rosmarin, Lorbeer, Thymian und Salbei auf winzigen Stämmchen. Diese führten zu einer Diskussion mit einer interessanten Frau, sie hin- und her gerissen zwischen Gärtner-Gier ("sie sind spottbillig") und Vernunft ("es ist noch zu früh"). Entschied sich für die Vernunft.  
Ich will es mir nicht mehr leisten, vernünftig zu sein. Jedenfalls nicht in kleinen Dingen - und in den großen oft auch nicht. 
Auch das Flanieren folgt nicht der Vernunft. 
                         Flanieren - das ist es, was ich seit Jahren mache: in London, wo ich auf die hübsch gebundene Stadtführerliteratur pfeife, in Edinburgh, wo ich mich beim Treibenlassen in die Stadt verliebe, und in Hastings, angespült wie Robinson Crusoe, und wo jeder mich fragt: "Why Hastings?" "Warum Hastings?
Beim Flanieren gibt es kein "Warum?" Man schlendert einfach los. 
Und erfährt die Stadt - rhapsodisch. Doch darüber ein andermal.